Texte:
Die malerische Arbeit von Christofer Kochs kreist um die universellen Themen Transformation, Übergang und Wandel, tief verwurzelt in der menschlichen Existenz. In der Balance zwischen figürlicher Darstellung und abstrakten Elementen entfaltet sich eine eindringliche Bildsprache, die durch hohe Sensibilität und emotionale Resonanz besticht.
Die menschliche Figur – oft nur angedeutet, manchmal fließend – steht im Zentrum der Kompositionen. Sie ist sowohl Träger als auch Medium des Wandels, ein Symbol für die zerbrechliche und zugleich beständige Natur des Lebens. Die Übergänge zwischen Körper und Raum, zwischen Form und Auflösung, verdeutlichen die ständige Bewegung und Veränderung des Daseins. Die figürliche Handschrift in Kochs` Werken verleiht den dargestellten Figuren eine Präsenz, die sich zwischen Konkretem und Imaginärem bewegt. Ihre Körper scheinen in einem Zustand der Metamorphose zu schweben, was den Betrachter unmittelbar in einen Dialog mit der eigenen Vergänglichkeit und dem stetigen Wandel der Identität führt.
Gleichzeitig öffnen die abstrakten Bildelemente Räume für Interpretation und Reflexion. Farben und Formen verschmelzen, lösen sich auf oder fügen sich in neuen Zusammenhängen, was eine emotionale Tiefe schafft, die den inneren Wandel und Übergang fühlbar macht. Die sensibel gewählten Farbtöne und feinen Übergänge vermitteln Stimmungen, die von Melancholie über Hoffnung bis hin zur Neugier auf das Unbekannte reichen.
Kochs Arbeiten spiegeln die Komplexität der menschlichen Existenz wider, die stets im Fluss ist. Sie berühren tief, indem sie auf subtile Weise universelle Gefühle von Loslassen, Veränderung und Neuanfang aufgreifen. Diese sensible Bildsprache lädt den Betrachter ein, sich auf eine introspektive Reise zu begeben, die ihn in den Raum zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, dem Körperlichen und dem Geistigen führt.
Andrea Brandl, Direktorin Kunsthalle Schweinfurt, 2016
Der Künstler Christofer Kochs umkreist in seinen Arbeiten das Thema Menschenbild aus
zeitgenössischer Sicht und nähert sich diesem in Form von Serien. Eigene
Weltanschauung, persönliche Erinnerungen, aktuelle Reflexionen über den Alltag und
Adaptionen aus der Musik vereint er virtuos auf Leinwand oder Papier in einer Malerei, in
der die schwebenden Figurationen auch für eine große inhaltliche Offenheit stehen.
Seine Gemälde versteht er als Resonanzboden, der – wie die akustischen Schwingungen
eines Instruments – eine Verbindung mit dem Betrachter erzeugen soll. Die Kunsthalle
Schweinfurt stellt mit dieser monografischen Ausstellung die Bedeutung eines hoch
begabten, jüngeren zeitgenössischen Künstlers heraus, der mit einem Hauptwerk in der
städtischen Schausammlung „Wegmarken“ vertreten ist. Als weitere Station für die
Ausstellung konnte der Kunstverein Ellwangen gewonnen worden, der den Künstler 2017
zeigen wird. Das unterstreicht seine Bedeutung im heutigen Kunstschaffen und gibt seiner
künstlerischen Aussage auch Gewicht.
Ebenso wie die Malerin Bettina van Haaren, die im Herbst 2016 ebenfalls in einer
monografischen Ausstellung in der Kunsthalle Schweinfurt zu sehen sein wird, ist
Christofer Kochs eine Entdeckung des Kurators der renommierten Sparkassengalerie,
Adolf Lutz, wo Kochs 2004 zu sehen war. Schon seinerzeit reifte der Wunsch, einerseits
eine Arbeit des interessanten, in Augsburg lebenden Künstlers zu erwerben und
anderseits nach einem gewissen zeitlichen Abstand mit ihm erneut eine Ausstellung in
Schweinfurt auszurichten.
Für die erste Dauerpräsentation zur Eröffnung der Kunsthalle 2009 konnte seinerzeit die
Arbeit „Faltungen“ angekauft werden, die seither in der städtischen Schausammlung
gezeigt wird. Dort ist sie im Kontext „Natur – Landschaft – Fiktion“ zu sehen, ein Thema,
das vielschichtiger denn je in das Blickfeld zeitgenössischer Künstler tritt. Denn
Menschenbild und Naturdarstellung sind in der Bildenden Kunst im 21. Jahrhundert nicht
mehr voneinander zu trennen, diese Sujets verschmelzen miteinander und besonders hier
ist eine neue Poesie in der Bildsprache zu beobachten. Christofer Kochs reduziert bei
unserem Bild Landschaft auf ein Materialbild mit gefalterter Leinwand. Diese ist nun nicht
ausschließlich mehr Bildträger, sondern zugleich das Bildthema. Das bedeutet, die
Faltungen im unteren Verlauf sind durchaus als topografische Angaben zu verstehen, die
nahtlos in eine zarte Zeichnung von figürlichen Silhouetten und reduzierten vegetabilen
Formen übergehen. Farblich und haptisch unterschiedliche Stoffe deuten Kochs Interesse
für den Raum und für bildhauerische Ausdrucksformen ganz allgemein an.
Ältere Bildlösungen, wie „Seismograph“ von 2008, setzen sich beispielsweise aus manuell
zu gesägten Holzstücken zusammen, die einen gewissen Rhythmus erzeugen und dabei
an die formschöne Struktur des Steins Travertin erinnern, also bewusst Assoziationen zu
natürlichen Formen hervorrufen. Bei anderen, zum Beispiel „Phasenverschiebung“, ist es
nacheinander fixierte und gefaltete Pappe. Dieses Material assoziiert man in besonderem
Maße mit einer Folie oder einer Jalousie und damit verbunden mit dem Eindruck, als
würde sich noch etwas anderes hinter dieser Blende finden. Darauf spielen auch die
aktuellen Bilder mit gerasterten Oberflächen an, hinter denen Figuren hervortreten oder
vor denen menschliche Silhouetten verschwinden wie auf einer fotografischen
Momentaufnahme.
Der seinerzeit für eine Ausstellung in der Galerie Harthan in Stuttgart vom Künstler wohl
gewählte Titel „Summe der Möglichkeiten“ 2009 spielte bewusst auf diese
vielschichtigen Bedeutungsebenen an. Christofer Kochs sieht seine Arbeiten als Schnitte
in die Welt und ermuntert den aufmerksamen Betrachter ausdrücklich, in diese
unbekannte Materie mit ihm zusammen einzutauchen. Thomas Elsen hat es „Malen als
entdeckende Erinnerung“ genannt. Es handelt sich also um einen persönlichen
Geschichtsspeicher. Der Maler verweist hierin auch auf einen zeitlichen Aspekt. Denn
meist tauchen auf seinen Bildern Figuren auf, sei es nur als Silhouette oder fragmentarisch
reduziert, die in irgendeine geheimnisvolle Handlung gleichsam eines Rituals
eingebunden sind.
Im aktuellen Werk wird Christofer Kochs dabei deutlich konkreter, was Raum und Zeit
betrifft. Scheinbar. Seine Bilder sind Bühnen für Inszenierungen, in denen Menschen aber
isoliert im Raum erscheinen (z.B. „Vertauschte Heimat“, S. 52). Denn Figur, Architektur
und Landschaft stehen in unterschiedlichen Ebenen, werden im Sinne kubistischer
Darstellungsweisen facettiert und damit entfremdet. Was auf den ersten Blick als
anheimelnde Landschaftsmalerei anmutet, entwickelt sich auf den zweiten als
kompliziertes und tiefsinniges Bewegungs- und Bedeutungsgeflecht. Kochs Protagonisten
wirken in der traumhaften, fast surreal anmutenden Bilderwelt isoliert und dennoch
suchen sie den direkten Kontakt mit dem Betrachter, warten ab oder treten ihm im
Bildraum sogar entgegen. Der schwebenden Komposition gibt der Künstler durch die
Bühne im unteren Rand Halt – mal malerisch ausformuliert, mal in Form eines
Materialstreifens angedeutet wie schon in früheren Arbeiten.
Kunsthistorische Bezüge herzustellen, fällt bei der Individualität seiner künstlerischen
Handschrift schwer. Vielleicht ist eine der Inspirationsquellen sogar Giorgio de Chirico
(1888-1978) mit seiner komplexen Bildsprache und Symbolik, der theatralischen
Lichtführung mit Hell-Dunkel-Kontrasten, auch wenn dieser Bezug nicht unbedingt
naheliegend ist. Andere Arbeiten wiederum lassen an den japanischen Holzschnitt des
19. Jahrhunderts denken. In der Verinnerlichung der dargestellten Handlung sowie in
Bezug auf den vom Künstler evozierten Dialog von Natur und Mensch steht Kochs dem
Japaner Katsushika Hokusei (1760-1849) nahe (z.B. S. 27).
Nicht von ungefähr ist die Schweinfurter Ausstellung von ihm als „Resonanzboden“
betitelt worden. Dieser eigentlich aus dem Sprachrepertoire der Musik stammende Begriff
verwendet der Künstler im Sinne eines dialogischen assoziativen Prinzips, das den Klang
seiner Bilder in Schwingung versetzen und dabei verstärken soll. Diese Klangwellen
treffen auf das Auge des Betrachters, nicht auf das Ohr. Eine ähnliche Wirkung, eine
vielleicht unbewusste subtile Kommunikation zwischen dem Publikum und seinen Bildern,
könnte ebenso in der Ausstellungssituation selbst anklingen. Das Konzept dazu hat er
vorab anhand eines selbst gefertigten kleinen Modells annähernd maßstabsgetreu
entwickelt, die Fotos der Situation vor Ort sollen dies auch im Katalog wiederspiegeln.
Der erste Verleger des renommierten Ullstein-Verlags, Emil Herz, hat eine seiner
Publikationen ebenfalls mit „Resonanzboden“ betitelt und begründete dies mit dem
dessen Anliegen, dass „alle Strömungen einfangen, alle Stimmen gehört, registriert und
wie von einem riesigen Resonanzboden verstärkt der Öffentlichkeit wieder zugeführt“
werden.* Dieses Bestreben gilt meiner Ansicht nach auch für Christofer Kochs. Das
Multitalent ist in der realen Welt tatsächlich professioneller Musiker und fungiert im
Orchester seiner Bilder als Dirigent und Solist zugleich. Seine persönliche Partitur klingt in
der Melodie seines Hängekonzeptes an und in der wohlklingenden Stimmigkeit dieser
Komposition. Christofer Kochs großes Können als Künstler und die tiefe Ernsthaftigkeit
seiner Werke zeichnen die Schweinfurter Ausstellung aus. Wir sind dankbar für dieses
unvergleichliche Klang- und Seherlebnis.
*nach www.resonanzboden.de abgerufen am 25.11.2015
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Anja Knoess, Köln, 2018
Christofer Kochs spielt virtuos mit Gegenüberstellungen unterschiedlicher Natur: Einem
auf das Wesentliche eines Motivs reduzierten Sujets setzt er die Vielschichtigkeit der
bildlichen Komposition entgegen, in der das detailliert Ausgearbeitete mit dem Sich-
Auflösendem verglichen, das Gegenständliche in direkten Vergleich zur Abstraktion
gestellt wird; zarter, subtiler Malerei wird die Fläche und Struktur grob gerissener,
doublierter Leinwand gegenübergestellt.
Mit dieser Verwendung des stofflichen Materials, also der Faltung der Leinwände sowie
die Überlagerung gerissener Leinwandstreifen, erzeugt Christofer Kochs die
Verschmelzung haptischer und optischer Sinnlichkeit. In einer Zeit in der zunehmend das
lichtgenerierte Bild der Fotografie die zugrundliegende Basis und Modell der Malerei ist,
zeigt Christofer Kochs eine neue Art der Malerei, die die Grenzen des Mediums neu
hinterfragt, Plastizität erzeugt und den Effekt von Licht- und Schattenspiel auch über die
Materialität entstehen lässt.
Reduktion und Relief findet sich ebenso in den Skulpturen des Künstlers. Es sind mit der
Kettensäge aus Holz geschnittene, teils als Bronze gearbeitete Schreitende, Stehende,
und sich spiegelnde Doppel-Figuren. In der Skulptur zeigt sich ebenso wie in Malerei und
Zeichnung Christofer Kochs seine künstlerische Auffassung, die in der inhaltlichen wie
formalen Fokussierung und Reduktion auf das Wesentliche ihre Stärke hat, effektiv
unterstrichen durch die zurückgenommene, tonige Farbigkeit der Arbeiten.
1992 beginnt er sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München und
wird 1996 Meisterschüler bei Prof. Berger. Es folgen zahlreiche Preise, Stipendien
undLehraufträge. Seine Werke sind in mehreren öffentlichen und privaten Sammlungen
Deutschland, Österreich, Holland, Australien, USA und der Schweiz vertreten.
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Dr. Erich Schneider, ehem. Direktor der Kunsthalle Schweinfurt,
jetzt Fränkisches Landesmuseum, 2009
Die Balance zwischen dem, was der Künstler an Präzisierung vorträgt und dem was der
Betrachter aus solchen Bildelementen in seiner eigenen Wahrnehmung werden lässt,
erscheint mir persönlich in Kochs’ Zeichnungen besonders gut ausponderiert.
Zeichnungen mit ihrer vielfach skizzenhaften Erscheinung haben ja bekanntlich die
Eigenschaft, dass der Betrachter sie für sich gewissermaßen „zu Ende malt“. Da genügen
dann die Abkürzung eines in bestimmter Weise auf das Papier gesetzten Kopfes mit
Schulter, einige Angaben zur Physiognomie und eine durch wenige impressionistisch
anmutende farbige Flecken erzeugte Stimmung um in uns, bei jedem auf eigene Weise,
eine bestimmte Aussage des Bildes zu evozieren.
Kochs’ Figuren sind von großer Einfachheit. Offensichtlich rasch und mit großer Sicherheit
auf das Papier geworfen, lassen sie noch etwas von der heilen Welt der Kinder-Malbücher
erahnen, deren Umrissfiguren den Künstler früher angeregt haben. Andererseits steckt in
der vermeintlich kindlichen Naivität des Ausdrucks zugleich die ungebändigte Kraft einer
Archaik, die uns in mancher Zeichnung der Höhlenmalerei noch über Tausende von
Jahren hinweg schaudern machen lässt.
Aber mit einer vereinfachenden Vorstellung von „gegenständlicher“ Kunst alleine ist das
Werk dieses Künstlers nicht zu fassen. Scheinbar mühelos bedient Kochs sich bei Bedarf
der Erfahrungen der informellen Kunst. Er lässt in manchen seiner tachistischen
Mischtechniken den Betrachter zunächst völlig vergessen, dass die in bestimmter Weise
angeordneten farbigen Flecken sich ja horribile dictu zu einem „gegenständlichen
Muster“ ordnen lassen.
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Corona Unger, Kunsthistorikerin & Galeristin Bremen, 2016
Christofer Kochs setzt sich mit durchbrochenen Körpern auseinander, die er mit der
Kettensäge aus dem Holzblock schneidet. Bis zur Zeichenhaftigkeit stilisiert, markieren sie
den Grenzbereich von Abstraktion und Figuration. Kennzeichnend für seine Skulpturen ist
ihre offene, scheinbar fragmentarisch belassene Struktur. Indem der Bildhauer das
Betrachterauge über wechselnde Ansichten und differenzierte Blickachsen von außen
nach innen und zurück führt, thematisiert er das menschliche Verlangen nach Erkenntnis.
Der neugierige Blick ins Innere markiert den erregenden Moment der Ergründung von
Verborgenem und Unbekanntem.
Mit einer subtilen farbigen Behandlung der Oberflächen betont Christofer Kochs sowohl
das Monumentale seiner lang gestreckten Bodenfiguren als auch das Filigrane der
feingliedrigen, arabeskenhaft verschlungenen Reliefs. Ihnen stellt der Künstler eine
thematisch verwandte Werkgruppe von Gemälden sowie einen Zyklus zarter Zeichnungen
gegenüber.
Christofer Kochs, geb. 1969 in Osnabrück, lebt und arbeitet in Augsburg. Er studierte von
1992 bis 1996 an der Akademie der Künste, München. 1995 erhielt er in Kronach den
Lucas-Cranach-Förderpreis, 1996 in München den Böhmlerpreis und 2000 in Bobingen
den 1. Preis des Kunstvereins. 2000-2003 lehrte er Lithografie an der FH Augsburg, 2007
folgten weitere Lehraufträge an der Universität Dortmund sowie der Alanus Hochschule,
Bonn. Regelmäßige Ausstellungen dokumentieren seine künstlerische Tätigkeit.
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Sprung aus der Zeit – Das zeitliche Hinwegsetzen in der Malerei
Ein Gespräch mit Christofer Kochs
Hilde Strobl, Architekturmuseum der TU München
2016
Die Titel der Serien und Bilder der letzten Jahre lauten „Schnitt in die Welt“,
„Speicher“, „Kurz vorm Vergessen“ oder „Danach die Stille“. Das sind
Formulierungen, die sprachlich bereits Bilder produzieren. Man fragt sich daher: Was
war zu- erst, die Bilder oder die Titel?
Immer zuerst die Bilder. Es gibt eine Sammlung von Worten und Begriffen, über die
ich stolpere und in einem Buch sammle. Lange Zeit hat mich zum Beispiel Wolfgang
Herrendorf stark beeindruckt, seine Bücher „In Plüschgewittern“, „Diesseits des
Van-Allen-Gürtels“ oder „Tschick“. Unabhängig davon was irgendwann zum Titel
wird, beeinflussen und inspirieren mich diese Textsequenzen – sie bleiben hängen.
Irgend- wann kristallisiert sich aus der Summe von Eindrücken dann ein Titel heraus.
Gerade die figurative Malerei verlangt fast nach einem Titel. Nicht beschreibend,
sondern assoziativ wird ein Wort- und Begriffsfeld eröffnet. Die Titel verstehe ich
wie einen Einstieg, fast einen Steigbügel – wenn man so will – in einen
Assoziationsraum zum Inhalt der Bilder. Die Titel greifen zum Teil sehr weit und
daher betitele ich auch zum Teil eine komplette Serie mit demselben Begriff.
Serien wie „Verstärker“ und aktuell „Resonanzboden“ verweisen in die Welt der Musik...
Meine Affinität zur Musik zeigt sich in ganz unterschiedlicher Weise. Über das
eigene Musikmachen hinaus, kommt mir Musik auch in der Kommunikation über
meine Bilder entgegen. Die Systeme sind identisch und dadurch teilweise leichter
zugänglich – es geht immer um Rhythmus, Ton, Wert und Varia- tionen. Der Titel
meiner Serie „Verstärker“ zum Beispiel er- möglichte ohne große Erläuterung ein
Nachempfinden meines „Inputs“. Ich begreife solche Bezeichnungen regelrecht als
Bildverstärker. Im Bezug auf den Titel der aktuellen Serie „Resonanzboden“
bedeutet das ein Verorten im Raum, der Boden als festes, erdiges Element und
zugleich diffuses Schwingen der „Resonanz“: Eine Bewegung die ein zeitliches
Vor- und Zurückschwingen beinhaltet gleichwie Aktion und Reaktion.
„Es sind die Bilder – sie bleiben haften“, schreibt Wolfgang Hildesheimer. Woraus
schöpfst Du deine Bildmotive oder die Bildidee? Ist es eher ein „Finden“ als ein
„Erfinden“?
Aus der Menge von Bildern, mit denen man alleine schon beim Zeitung lesen
konfrontiert wird, finden sich natürlich immer wieder Motive, die haften bleiben. Ich
habe jene auch in irren Mengen gesammelt. Sie werden nicht eins zu eins zu einer
Bildvorlage, sondern sind vielmehr Ausgangspunkt und Archiv einer Bildwelt, aus
der ich schöpfe und die ich in neue Kontexte setze.
Im Katalog „Chronos“ (2000) schreibt Erik Schönenberg über deine Bilder:
„Eingefasst in diffuse Farbräume versuchen die Gestalten eine eigene Position zu
finden.“ Hat sich das Verhältnis von Figur und Raum seither verändert? Sich der
Raum etwa verdichtet?
In meinen früheren Arbeiten fokussierte ich mich völlig auf die Figur – ohne weitere
Details wie Gegenstände oder Ortsbezüge. Die Figuren bewegten sich, schwebten
im unbeschriebenen und eher geistigen Raum. Vor ein paar Jahren machte ich einen
Schnitt und löste mich vom dominanten Motiv der Einzelfiguration. Ich fragte mich,
was passiert, wenn ich die Figuration vervielfache? Auf dem Weg dieser
Entwicklung spielte ich Versionen durch: zwei Personen interagieren oder ganze
Gruppen tauchen auf – Blicke, Gestik und Körperhaltungen stellen Bezüge her. Um
diese auch kompositorisch zu erreichen, verkleinerte ich die Figuren, damit der
räumliche Kontext ein größeres Gewicht bekommt. Und was bisher nie auf- tauchte,
außer vielleicht eine Horizontlinie als ledigliche Angabe von Raum, wurde auf einmal
stärker. Durch das Einbeziehen von Landschaft und Bauten bekamen die Figuren
einen Stand, sie begannen sich zu verorten. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht
auch weiterhin schwebende Figuren im labilen Zustand gäbe – allerdings im
Raumkontext eingebunden.
Sind die Figuren in einer Serie wie „Ins Leben stellen“ als handelndes Personal zu
verstehen? Verbergen sich hinter den vielen Schichten, hinter der vielschichtigen
Anlage der Bilder Geschichten?
Meine Bilder erzählen sicher keine lineare Geschichte, nicht wie im Film. Spannend
wird erst das Brechen des linearen Mo- dells durch das Gegeneinandersetzen von
Motiven aus verschiedenen Kontexten, Zeitebenen oder Räumen. Eine schein- bar
greifbare Struktur, die Figuration und Komposition, wird durch die Irritation, dass
etwas so in der Realität nicht sein kann, instabil. Sie bricht und wirft Fragen auf. Auf
diesen Moment, auf das Kippen zwischen was ist, was sein kann und was
uneindeutig bleibt, arbeite ich in meinen Bildern hin.
Immer wieder wird auf die Wiederkehr des Subjektivismus in der zeitgenössischen
Malerei verwiesen. Trifft das auch auf deine Arbeiten zu?
Das Subjektive entspricht dem, was den Kern der Kunst bezeichnet. Der Künstler ist
derjenige, der filtert indem er bestimmte Dinge aufnimmt oder außen vor lässt – das
Ergebnis dieses selektiven Prozesses führt dann wiederum zum Kunst- werk und
tritt in den Bildern zum Vorschein, die eine neue Wirklichkeit arrangieren. Das ist
letzten Endes mein Motor und das Ziel, ob es immer gelingt, eine andere Frage.
Das Spektrum deines bildnerischen Vokabulars im räumlichen Kontext erweiterte
sich in deinen aktuellen Arbeiten um symbolhafte und metaphorische Elemente.
Mit der Aufnahme von Motiven wie Leiter oder Boot sind nahezu archaische
Elemente hinzugekommen. Durch die aktuelle politische Entwicklungen und die
Flüchtlingssituation werden diese in der Lesbarkeit wieder völlig neu aufgeladen.
Spannend finde ich, wie die Sehgewohnheiten aufgrund der gegenwärtigen
Ereignisse auf einmal verändert werden. Und den- noch bleibt es ein ganz
traditionelles Motiv für einen Über- gang, für einen Transit von dem einen Zustand in
den anderen, ob man nun an die letzte Fahrt über den Acheron anspielt oder die
Hoffnung auf ein besseres Leben. Auch die Häuser aus der aktuellen Serie „Ins
Leben stellen“, meist in historischen Anspielungen, dienen der ambivalenten
Kontextualisierung zwischen heute und der Geschichte, dienen dem Sprung in eine
andere Zeit. Zeiten werden gegeneinandergestellt und finden in einem Raum, in
einem Bild statt. Das ist eigentlich genau die Chance der Malerei, dass sie neu
zusammensetzen und sich zeitlich über Grenzen hinwegbewegen kann.
Die Arbeitsweise in Schichten zeigt sich in deiner Holzschichttechnik ebenso wie im
Falten der Leinwände, einer ganz speziellen Bearbeitung und Vorbereitung des
Bildträgers.
Ja, die Schichten sind Teil des Prozesses der Bildentstehung und entsprechen meiner
Art zu arbeiten, das betrifft die Holzschnitte genauso wie die gefalteten Leinwände.
Das bedeutet: mit Impuls in eine Arbeit reingehen, mit voller Wucht anfangen, sich
konzentrieren, dann wieder Abstand gewinnen, Zeit vergehen lassen und wieder
ansetzen. In diesem zeitlichen Bogen spiegeln sich auch die eigenen Stimmungen, in
denen man sich während der Bildentstehung über den Tag und über die Wochen
befindet.
Leinwände falte ich seit 2008. Die Motivation dahinter ist, den Bildern einen
anderen Ausgangspunkt zu verleihen. Schicht für Schicht übereinandergelegt
entsteht ein Bildkorpus, eine gegliederte Oberfläche und eine haptische Struktur.
Bevor ich beginne, mit Farbe an die Leinwand zu gehen, werde ich mit dem Material
des Bildträgers konfrontiert – bei großen Arbeiten manchmal zwei bis drei Tage
lang. Mit dem stetigen Prozess des Faltens der Leinwand beginnt die erste formale
Aufteilung der Fläche. In der aufwendigen Auseinandersetzung mit dem Material
setzt sich eine gewisse Spannung ein, wohin sich die Bildidee entwickelt, schärft.
Die Faltung der Leinwand erreicht aber auch eine weitreichendere Dimension im
Bezug auf die allgemeine Bildrezeption und ist gewissermaßen auch Ausdruck einer
Haltung, eines Ausreizens der Möglichkeiten der Malerei, und damit auch eine Reaktion
auf die digitale Bilderflut. Alles, was wir uns auf Bildschirmen ansehen, ist Licht
generiert und eine flache Darstellungen von Bildern. In vielerlei Hinsicht hilfreich,
praktisch, toll. Allerdings geht dabei ein elementarer Teil verloren nämlich Haptik,
Oberflächenstrukturen und Körperlichkeit. Ich erlebe immer wieder, gerade an den
Holzskulpturen wie gerne diese angefasst werden. Das geht mir selbst ebenso. Man
spürt dabei Materialität und Stofflichkeit. Ähnliche Erfahrung übertrage ich auf
meine Bilder. Um es anders zu sagen: natürlich vermitteln sich Inhalte und Motive
über das digitale Bild. Dennoch bleibt dahinter immer die Begegnung mit dem
Original zurück. Wenn jemand einmal die Bilder gesehen hat, wird er das digitale
Image verstehen können. Hat er das nicht getan, bleiben ein- fach Fragen zum
technischen Hintergrund offen. Mir geht es auch darum, etwas zurück zugeben, was
in unserer täglichen Wahrnehmung mittlerweile stark minimiert worden ist – ja, um
eine Wertigkeit von Bildern.
Du setzt verschiedene künstlerische Techniken und Materialien ein. Welchen
Stellenwert haben die Skulpturen aus Holz für dein Arbeiten?
Das Interesse an der Skulptur begann während meines Studiums. Ausgangspunkt
war einfach der Wunsch, das Figurenpersonal, das ich malte, auch dreidimensional zu
sehen! Mich hat das Arbeiten mit Holz und Motorsäge gleich fasziniert. Die Säge
lässt sich wie ein graphisches Instrument einsetzen, wie ein Pinsel, je nachdem, wie
man schneidet, bildet man eine Li- nie oder eine Fläche. Mittlerweile hat die Skulptur
seinen ganz eigenen Platz in meinem Arbeiten, gerade weil dahinter ein völlig
anderer Entstehungsprozess steht: schneller, dreckiger, und Entscheidungen, die
sich nicht rückg.ngig machen lassen. Meine Skulpturen entstehen nicht in einem
langsamen, sich aufbauendem Prozess wie die Bilder, sondern vielmehr umgekehrt:
man fängt bei hundert Prozent an und reduziert das Material nach und nach. Zum
Teil fließen Ideen und Erfahrungen mit dem skulpturalen Arbeiten wie das Spiel mit
Falten als auch Licht und Schatten in die Bilder ein – und andersherum. Außerdem
hilft die Auseinandersetzung mit einem andern Material zwischendurch loszulassen
und mit neuer Motivation und freiem Kopf sich wieder den Bildern zu widmen.
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Clemens Ottnad, Kunstverein Reutlingen 2010
In Christofer Kochs’ Werken – Zeichnungen, Malerei, Collagen und Holzskulpturen
tauchen menschliche Figurationen allerdings nicht immer nur schemenhaft aus dem
Bildfond auf, wie etwa bei der eingangs erwähnten Zeitschleife zu sehen ist. Farbe, Form,
Figur gewinnt hier quasi Gestalt erst aus einem prismatisch gebrochenen Sehen;
menschliche Körper, Kleidung, die Dinge der Alltagswelt mitsamt ihrer Interaktionen
erscheinen hier ebenfalls erst aus mannigfaltigen Verschichtungen heraus. Der
Deformation von Material folgt die (Re)Komposition neuer Vorstellungswelten, die
sichtbare Wirklichkeit wird zerlegt, um sie neu oder aber eine gänzlich neue erstehen zu
lassen. Bei den geschnittenen, aneinandergefügten und wieder zusammengesetzten
Papierarbeiten und Leinwänden entfalten sich diese Figuren aus den gefalteten
Bildgründen – sie sind also so, auf diese eine Weise zu sehen und beinhalten doch
vermittels ihrer unsichtbaren Innenlagen der Papiere, Pappen und Textilien zugleich eine
andere, noch erheblich grössere Summe der Möglichkeiten (Summe der Möglichkeiten,
wie auch die Betitelung einzelner Objekte bzw. einer Ausstellung des Künstlers lautet).
So könnte man meinen, Christofer Kochs Faltungen erzeugten gar eine Art bewegter
(oder mindestens potentiell zu bewegender) Bilder, sozusagen filmischen Sequenzen
gleich: die sichtbare (äussere) Oberfläche offenbarte in diesem Fall – freilich erst nach
dem virtuellen Umklappen der vermeintlich mobilen Bildsegmente (nämlich der einzelnen
Papierbahnen oder Stoffstreifen) – ein zusätzliches Innenbild, neue Haltungen und
Handlungen also, eine Neuordnung der Dinge, die das Vor- und Zurückbl.ttern der Zeit
ermöglichte.